Freitag, 17. November 2017

Adiga, Aravind: Der weiße Tiger - Hörbuch

Balram – der „weiße Tiger“ – lebt in einem Dorf im Herzen Indiens. Der kluge, aber arme Junge hat keine Chance auf Aufstieg, bis er als Fahrer eines reichen Mannes nach Delhi kommt. Fasziniert beobachtet er, wie seinesgleichen, die Diener, vor allem aber ihre reichen Herren auf Jagd nach Alkohol, Mädchen und Macht gehen. Schnell ist sein Ziel klar: die Flucht aus dem Sklavendasein und hinein in ein freies Leben – auch wenn dieser Weg über Leichen führt. Eine amoralische Geschichte, anrührend und ohne jeden falschen Bollywood-Glamour.

(Klappentext Der Audio Verlag)


  • Spieldauer: 6 Stunden und 34 Minuten
  • Format: Hörbuch-Download
  • Version: Gekürzte Ausgabe
  • Verlag: Der Audio Verlag
  • Sprecher: Jens Wawrczeck
  • Audible.de Erscheinungsdatum: 16. Juli 2009
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Ingo Herzke 
  • Originaltitel: The White Tiger
  • ASIN: B002TVWDJY












WHAT A FUCKING JOKE...



Als Balram erfährt, dass der Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten in Indien geplant ist, beschließt er diesem einen langen Brief zu schreiben, damit der Eindruck vom Leben in Indien ein wahrer wird und nicht etwa von dem geschönten Protokoll für Staatsbesuche gezeichnet ist. Da Balram viel zu erzählen hat, wird es ein langer Brief, an dem er sieben Tage lang schreibt. Und dieser Brief umfasst letztlich auch den gesamten Roman.


"Offenbar sind Sie in China uns in jeder Hinsicht weit voraus, abgesehen von der Tatsache, dass Sie keine Unternehmer haben. Wohingegen unsere Nation zwar weder über Straßen noch über Trinkwasser, Strom, Kanalisation, öffentlichen Verkehr, einen Sinn für Hygiene, Disziplin, Höflichkeit oder Pünktlichkeit verfügt, aber über Tausende und Abertausende Unternehmer. Vor allem im Bereich Technologien. Diese Unternehmer – wir Unternehmer – haben Tausende von Outsourcing-Unternehmen gegründet, die inzwischen im Grunde ganz Amerika am Laufen halten."


Wer schon immer etwas über das Leben in Indien abseits der Bollywood-Welt wissen wollte, der ist bei diesem Debüt von Aravind Adiga genau richtig. Rückblickend wird hier der Aufstieg Balram Halwais aus großer ländlicher Armut zum verhältnismäßig wohlhabenden Besitzer eines Taxi-Unternehmens geschildert. Allerdings muss man darauf gefasst sein, hier schöpfkellenweise den Dreck auf den Teller geklatscht zu bekommen, und manchesmal erscheint die scharf gewürzte Mischung aus bitterbösen und schockierenden Szenen, Sarkasmus und schonungslosen Schilderungen allzu beklemmend und unverdaulich.


"Die Gefängnisse von Delhi sind voll von Fahrern, die dort hinter Gittern sitzen, weil sie die Schuld für ihre so guten und so soliden Mittelklasse-Herren übernommen haben. Wir mögen die Dörfer verlassen haben, aber unsere Herren besitzen uns noch – Körper, Seele und Arsch. […] Die Richter? Durchschauen sie diese so offensichtlich erzwungenen Geständnisse nicht? Aber sie sind doch selbst Teil der Betrügerei. Sie nehmen ihr Bestechungsgeld und überschauen die Unstimmigkeiten in dem Fall. Und das Leben geht weiter. Für jeden außer dem Fahrer."


Balram wird seit seiner Kindheit 'weißer Tiger' genannt, weil er seinerzeit dem Schulinspektor bei dessen Visite wegen seiner Klugheit gleich aufgefallen ist - was in Bangalore ebenso selten scheint wie ein weißer Tiger im Dschungel. Gerne schmückt sich Balram zeitlebens mit diesem Beinamen, macht er ihn doch zu etwas Besonderem - und eben das möchte Balram sein. Die Aussichten, in der Tradition seiner Kaste zu leben, der Kaste der Zuckerbäcker, allen anderen gegenüber unterwürfig, auch den Frauen der Familie, und neben harter Arbeit nur die Aussicht auf einen frühen Tod zu haben, behagen Balram gar nicht.

Geschickt nutzt er seine Klugheit, um erst an Wissen zu gelangen und schließlich das Spiel mitzuspielen. Als Diener im Teehaus bleibt er oftmals lange in der Nähe der Tische und belauscht die Gespräche der Gäste. So erfährt er einiges darüber, wie Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in Indien funktionieren und beschließt, sich dieses Wissen zunutze zu machen. Er wird Fahrer bei einem reichen Herrn und bekommt bald auch Einblick in dessen Geschäfte. Obwohl er seinem Herrn gegenüber eine große Loyalität verspürt, weiß Balram, dass es nur einen Weg für ihn geben kann, um aus dem ewigen 'Hühnerkäfig' auszubrechen.


"Alles was ich wollte war die Chance, ein Mann zu sein und dafür war ein Mord ausreichend."


So enttarnt Balram Halwai in seinem Brief sukzessive eine durch und durch korrupte Gesellschaft, die empörende Scheindemokratie Indiens, das zerrüttete Rechtssystem und die zynische Arroganz der Reichen, die ihr Vieh besser behandeln als ihre Dienerschaft. Es ist ein Buch, das die Augen öffnet. In jeder Hinsicht. Die Vielschichtigkeit der Geschichte, die hier nur angerissen werden kann (allein schon die Idee, diese Offenbarung von Indiens Korruptheit - gerade auch unter den Politikern - ausgerechnet an den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao zu richten...), beschäftigt einen lange.

Jens Wawrczeck (bekannt u.a. durch die Hörpsielserie Die Drei ???)  liest das 6 h 34 min lange Hörbuch gekonnt souverän und passt sich in seinem Vortrag hervorragend dem von Zynismus und Sarkasmus triefenden Text an.

Das Debüt erhielt gleich in dem Jahr seines Erscheinens den renommierten Man Booker Prize (2008).

Die Kombination der lockeren Erzählart mit kritischen Überlegungen zu Gesellschaft, Leben und Kultur in Indien verleihen dem Roman bei allem schwarzen Humor auch etwas Bissiges. Für mich eine überraschende Entdeckung!


© Parden















Der Audio Verlag schreibt über den Autor:

Der indische Schriftsteller und Journalist Aravind Adiga wurde 1974 im südindischen Chennai (früher: Madras) geboren und wuchs in der Hafenstadt Mangaluru am Arabischen Meer auf, wo er das katholische St. Aloysius College besuchte. Im Alter von 16 Jahren zog er mit seiner Familie nach Sydney, zwei Jahre darauf verstarb seine Mutter. Als Sohn eines Arztes kam Adiga in den Genuss einer guten Ausbildung, er studierte englische Literatur, Ökonomie und Philosophie an der Columbia University in New York und am Magdalen College in Oxford. Zurück in Indien arbeitete er als Finanzjournalist für die Financial Times und als Südasien-Korrespondent für das Time Magazine. Seine Festanstellung bei dem New Yorker Magazin tauschte er nach drei Jahren gegen eine freie Mitarbeit ein, um mehr Zeit zum Schreiben eigener Texte zu haben. Für seinen Debütroman »Der weiße Tiger« erhielt er 2008 den renommierten englischen »Man Booker Prize« (als vierter indischer Preisträger nach Salman Rushdie, Arundhati Roy und Kiran Desai) und 2009 den italienischen »Premio Cavour«. Die langen Jahre im Ausland haben Adigas Blick auf die indischen Verhältnisse geschärft. So ist er in kürzester Zeit zu einer der wichtigsten Stimmen Indiens avanciert. Aravind Adiga lebt in Mumbai.

übernommen von Der Audio Verlag



Der Audio Verlag schreibt über den Sprecher:

Jens Wawrczeck, geboren in Nyköbing (Dänemark). Erste Hörspielerfahrungen mit elf Jahren in Astrid Lindgrens „Brüder Löwenherz“. Schauspielausbildung in Hamburg, Wien und New York. Seit 1990 an verschiedenen Theatern in New York, Hamburg und Berlin. Mitwirkung in zahlreichen Hörspielproduktionen. Einem breiten Publikum wurde Wawrczeck durch seine Rolle als Peter Shaw in der Hörspielserie »Die drei ???« bekannt. Wawrczeck ist zudem die Synchronstimme von Spence Olchin in der Fernsehserie King of Queens. Außerdem ist Jens Wawrczeck als Dialogregisseur und Dialogbuchautor tätig und veröffentlichte 2007 eine Sammlung von Hans-Christian Andersen Märchen »Sieben Märchen« und 2008 »Die schlafende Schöne« bei denen er als Sprecher mitwirkt.

übernommen von Der Audio Verlag

1 Kommentar:

  1. Ausgerechnet an China. Die schlimmsten Unternehmer sind kommunistische Unternehmer, die das Ziel des Kommunismus vergessen haben...

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